Infrastruktur als Commons oder Wir holen uns das Internet zurück (0)
Einleitung
Erfolgreiche IT-Konzerne wie Google, Amazon, Facebook, Apple und Microsoft (kurz GAFAM) bedienen sich ganz ungezwungen bei freier Software, um ihre monopolartigen Strukturen aufzubauen, mit denen sie Milliarden verdienen. Um nicht völlig als vom Stamme Nimm dazustehen, verteilen einige von ihnen Almosen an die Free-Software-Community, die nicht selten darin bestehen, dass sie die Hauptentwickler freier Software aufkaufen und in ihren Belegschaften als personelle Assets führen. Falls sie selbst der Community Ressourcen frei zur Verfügung stellen, erweist sich die großzügige Geste häufig als Danaer-Geschenk. Als Beispiel seien hier die Google-Fonts genannt, die in Websites eingebunden sich als Trojanisches Pferd entpuppen, mit denen Google persönliche Informationen über die Nutzung des Internets sammelt.
Freie Software ist eine Erfolgsgeschichte. Wenigstens für die großen IT-Konzerne. Für die Entwickler und vor allem für die Gesellschaft sieht es anders aus. Dass wichtige Teile der digitalen Infrastruktur mit Hilfe von Software am Laufen gehalten wird, die von unbezahlten Entwicklern über viele Jahre hinweg gepflegt wird, hat sich mittlerweile herumgesprochen wie ein bekannter xkcd-Cartoon belegt. Freie Software wird selbstausbeuterisch entwickelt, mit Almosen finanziert und von großen Konzernen parasitär dazu genutzt, das Internet zu beherrschen. Freie Software hat wie die Bodenschätze der Erde sehr wenige sehr reich gemacht.
Unabwendbare Tragödie?
Freie Software wird im Gegensatz zu Öl, Gas, seltenen Erden und den Fischen im Meer als eine nicht-rivale Ressource bezeichnet. Nicht-rivale Ressourcen, so die Lehrmeinung, werden bei der Nutzung weder verbraucht noch abgenutzt. Die Nutzer rivalisieren nicht miteinander um die Nutzung. Bei rivalen Ressourcen sei das anders, da diese durch die Nutzung verbraucht würden, wie zum Beispiel die Fische im Meer oder die Früchte auf dem Feld. Die Nutzer solcher Ressourcen rivalisieren miteinander, da jeder Fisch nur einmal gefangen und jede Frucht nur einmal geerntet werden kann. Aus dieser Rivalität resultiere die Tragik der Allmende, ein Begriff, den der Mikrobiologe und Ökologe Garrett Hardin in die Welt gesetzt hat.
Frei verfügbare Ressourcen, sagt Hardin, würden in kurzer Zeit übernutzt, da jeder Nutzer versuche, so viel Nutzen wie möglich aus der Ressource zu ziehen. Die Überfischung der Meere und der Raubbau an der Natur werden als Beispiele herangezogen, um zu belegen, dass Allmenden nicht funktionieren können und die Ressourcen, vereinfacht gesprochen, entweder privatisiert oder verstaatlicht werden müssten.
Bei nicht rivalen Gütern, wie zum Beispiel dem Code von Software, so die allgemeine Überzeugung, sei es anders, da hier eine Übernutzung gar nicht möglich sei. Die tragischen Verwicklungen, die den Untergang von Allmenden zur Folge haben, träfen auf freie Software nicht zu. Die Unterscheidung in rivale und nicht-rivale Gemeinschaftsgüter ist aber in der Wissenschaft umstritten. Die deutsche Commons-Forscherin Silke Helfrich hat darauf hingewiesen, dass Gemeingüter von Menschen gemacht sind. »Gemeingüter sind nur, wenn wir sie herstellen. Sie bleiben nur, wenn wir sie pflegen.«1
Im Hinblick auf freie Software leuchtet das sofort ein. Software muss entwickelt und gepflegt werden, sonst vergammelt sie. Der Code selbst verbraucht sich zwar nicht bei der Nutzung, was sich aber sehr wohl erschöpft – und darauf spielt auch das bekannte xkcd-Comic an – sind die Menschen, die sie pflegen. Das tragische Schicksal der Allmende ereilt also irgendwann auf ödipalen Umwegen auch die Software-Allmende.
Was haben wir übersehen? Dachten wird früher, der Code sei das Commons, die Gemeinschafts-Ressource, so erkennen wir heute, dass es die Arbeitskraft der Entwickler ist. Sie ist endlich wie der Fischreichtum im Meer oder das Öl unter der Erde. Bei populärer Software kommen zwar immer wieder neue Entwickler und Maintainer hinzu, sodass die Illusion entsteht, eine neue Generation rücke nach, wenn die alte Generation abtritt. Die prekäre Situation wird aber bloß von Generation zu Generation weitervererbt.
Und sobald in der Welt der freien Software technische Ressourcen ins Spiel kommen, läuft die Tragik der Allmende mit der unerbittlichen Schicksalshaftigkeit einer griechischen Tragödie ab. Meist beginnen die Probleme wie bei Ikarus mit einem Höhenflug. So mussten viele Betreiber von Mastodon-Instanzen schnell wieder aufgeben, weil sie die finanziellen und organisatorischen Belastungen ihrer erfolgreichen Instanzen nicht mehr tragen konnten. Andere lassen keine neuen Registrierungen mehr zu, weil sie nach Elon Musks Eskapaden von neuen Teilnehmern förmlich überrannt werden. Das Codeberg-Projekt ist durch seinen Erfolg in Skalierungsprobleme geraten. Und auch der Matrix Foundation geht aufgrund ihres Erfolgs die Luft aus.
Stellt man Ressourcen anderen frei zur Verfügung, ohne dass man die Monetarisierungsmöglichkeiten der kommerziellen Plattformen zur Refinanzierung nutzen kann, entsteht schnell eine Schieflage. Es stellt sich also die Frage, ob Garret Hardin mit seiner These von der Tragik der Allmende nicht doch recht behält und die Commons langfristig zum Scheitern verurteilt sind, wenn sie nicht richtig verwaltet werden. Was aber heißt in diesem Zusammenhang richtig verwalten?
Die Bedienungsanleitung für Commons?
Um diese Frage zu klären, wollen wir uns in einer Serie von Blogartikeln mit der US-amerikanischen Politologin Elinor Ostrom und den von ihr identifizierten Designprinzipien funktionierender Commons-Ressourcen beschäftigen und diese auf IT-Commons beziehen.
Elinor Ostrom wurde 2009 »für ihre Analyse ökonomischen Handelns im Bereich Gemeinschaftsgüter« mit dem Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnet. Sie hat 1990 in ihrem Hauptwerk, »Governing the Commons« (Die Verfassung der Allmende),2 funktionierende Commons-Institutionen untersucht und acht Designprinzipien identifiziert, die für das Funktionieren von Commons-Institutionen notwendig sind. Damit konnte sie aufzeigen, dass Gemeingüter sehr wohl von einer Gemeinschaft der Nutzenden nachhaltig und effizient gepflegt werden können. Die Prinzipien, die sie identifizierte, stellen damit eine Bedienungsanleitung für Allmenden dar.
Ostrom wird heute als eine führende Forscherin im Bereich der Umweltökonomie betrachtet, da sie in ihrer Feldforschung ermittelte, wie Menschen knappe natürliche Ressourcen auf nachhaltige Weise kollektiv wirtschaftlich nutzen. Sie studierte traditionelle Fischereiwirtschaften, Bewässerungssystemen, Wald- und Weidewirtschaften, später aber auch die Problematik des geistigen Eigentums. Gemeinschaften, die Ressourcen jenseits von Staat und Markt kooperativ und gemeinschaftlich pflegen wollen, sollten also die Ostrom’schen Designprinzipien kennen.
Im Folgenden beziehen wir uns auf eine präzisierte Fassung der acht Prinzipien, die sie in ihrer Nobelpreisrede 2009 vorstellte.3 Wir werden zeigen, dass Genossenschaften, vor allem Konsumgenossenschaften, die acht Designprinzipien weitgehend verwirklichen und damit als Blaupause für eine nachhaltige Pflege von Commons-Ressourcen dienen können. Dies soll am Beispiel der Hostsharing eG geschehen. Sie ist eine Konsumgenossenschaft, die keine natürlichen Ressourcen wie Fischgründe, Weiden oder Wälder bewirtschaftet. Sie erbringt ähnlich wie eine Wohnungsgenossenschaft durch kollektives Wirtschaften Dienstleistungen, die die Mitglieder der Genossenschaft in Anspruch nehmen können.
Die gesamte Blogreihe gliedert sich anhand der acht Designprinzipien von Elinor Ostrom wie folgt:
- Einleitung
- Grenzen
- Kongruenz
- Gemeinschaftliche Entscheidungen
- Monitoring der Nutzer und der Ressource
- Abgestufte Sanktionen
- Konfliktlösungsmechanismen
- Staatliche Anerkennung
- Eingebettete Institutionen und polyzentrische Governance
-
Commons: für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat. Hrsg. v. Silke Helfrich/ Heinrich Böll Stiftung. 2. Aufl. Bielefeld 2014. ↩︎
-
Ostrom, Elinor: Governing the commons: The evolution of institutions for collective action. 1990. ↩︎
-
Ostrom, Elinor: Beyond markets and states: Polycentric governance of complex economic systems. Stockholm 2009. ↩︎