Free Software is evil
Open-Source-Software ist böse. Sie ist die Waffe, mit der GAFA das Internet monopolisiert hat. Jeder Open-Source-Entwickler spielt GAFA in die Hände. Der Einzelne ist machtlos gegen die Übermacht der Internetkonzerne. Gemeinschaftlich betriebene Infrastruktur könnte ein Weg sein, das Internet wieder zu dezentralisieren und ein wenig digitale Souveränität zurückzugewinnen.
Die Schlacht gewonnen. Den Krieg verloren?
Die Free and Open Source Software Bewegung hat die Schlacht ums Internet gewonnen. Während Mitarbeiter in der Industrie und der Verwaltung noch weitestgehend an proprietäre Windows-Software gefesselt sind oder wie in München wieder eingefangen wurden, hat sich freie Software in anderen Bereichen eindrucksvoll durchgesetzt. 29,91 % aller aktiven Websites laufen laut einer auf statista.com veröffentlichten Studie mit dem Open Source Webserver Apache, weitere 19,55 % mit nginx, einer ebenfalls freien Webserver-Software.1 Nach Erhebungen von W3Tech2 und W3Cook3 beläuft sich der Marktanteil von Linux-Betriebssystemen im Servermarkt je nach Datenlage auf 70 bis 96,5 %. Linux beherrscht den Markt für Supercomputer.4 Und 75,27 % aller Smartphones laufen mit dem Betriebssystem Android, das auf Linux basiert.5 Tux und die Maskottchen der anderen Open-Source-Projekte triumphieren fast überall in der digitalen Welt.
Doch leider haben sie einen Pyrrhussieg errungen. Denn der Sieg von Linux & Co. hat ein Ungeheuer geboren: GAFA. Google, Apple, Facebook, Amazon und alle anderen großen Plattform-Betreiber nutzen freie und offene Software, um das freie Internet in umzäunte Gärten zu parzellieren und die Wertschöpfung zu monopolisieren. Freie und offene Software hat aus Garagenfirmen in wenigen Jahren die mächtigsten Börsengiganten aller Zeiten gemacht. Mit Hilfe freier Software gelang es GAFA Menschen und ihre Privatsphäre in einen kostbaren Rohstoff für eine geradezu schwindelerregende Gewinnmaximierung zu verwandeln. Die Dystopie des Hollywood-Films Matrix ist auf eine erschreckend banale Art Wirklichkeit geworden. Wir träumen bloß davon, im Internet zu surfen und coole Dinge zu tun, in Wirklichkeit ernähren wir GAFA mit unseren Daten. Und keine rote Pille holt uns da raus.
Plattform-Kapitalismus: Einer gewinnt, alle anderen verlieren
Der marginalisierte Datenschutz ist jedoch nur ein Aspekt des Problems. Die sogenannte ›Sharing Economy‹ hat weitere Dimensionen in den Blick gerückt. Schon vor Jahren warnte der Soziologe und Publizist Harald Welzer vor den Folgen dieser Entwicklung. Alles würde durch die Sharing Economy individualisiert und merkantilisiert.6 Ungenutzte Ressourcen, die man früher mit Bekannten und Freunden, die sie gerade benötigten, unentgeltlich geteilt hat – zum Beispiel ein freies WG-Zimmer oder ein ungenutztes Werkzeug – werden zur Ware in der Sharing Economy. An dem Unternehmen Uber wurde dann die ganze Problematik der Sharing Economy als erstes sichtbar.7 Die Ausbeutung der Fahrer und die Vernichtung ordentlicher Arbeitsplätze im Taxigewerbe führten weltweit zu Protesten. Die Sharing Economy erwies sich als Plattform-Kapitalismus. Gewinne werden privatisiert, Verluste und Risiken sozialisiert. Einer gewinnt, alle anderen verlieren.
Die IT-Industrie und viele ihrer führenden Köpfe neigen – teils wohl unbewusst – dazu, die ›disruptiven‹ Prozesse des Plattform-Kapitalismus als Fortschritt zu verklären und werbewirksam mit positiv besetzten Begriffen wie zum Beispiel dem der ›Sharing Economy‹ zu verschleiern. Natürlich ist der Plattform-Kapitalismus disruptiv, aber er zerstört nicht nur überkommene Strukturen, sondern auch die sozioökonomischen Errungenschaften, die dem klassischen Kapitalismus in langen Kämpfen abgetrotzt wurden und die der Neoliberalismus in den 80er und 90er Jahren des letzten Jahrhunderts sturmreif geschossen hat.
Die Arbeit der Entwickler von freier Software wird von GAFA konsequent ausgebeutet. Und sie selbst gehen leer aus. Der Widerstand gegen diese Ausbeutung freier Software ist gering und trägt oft rührende Züge. So versuchte kürzlich ein Maintainer von npm-Paketen sich und anderen Entwicklern über Werbung eine Einnahmequelle zu erschließen. Jedesmal, wenn jemand mit dem Paketmanager npm Software installierte, erschien in der Kommandozeile ein Werbetext. Die Aktion war gut gemeint, löste aber einen Proteststurm aus, da niemand gerne Werbung sieht. Nach wenigen Tagen wurde das Experiment abgebrochen.8
Plattform-Kooperativen: Was einer allein nicht schafft, schaffen viele
Keine rote Pille befreit uns vom Plattform-Kapitalismus. Sie öffnet uns nur die Augen. Wir haben wie Neo in dem Film Matrix die Wahl. Verschließen wir weiterhin die Augen vor dem parasitären Charakter des Plattform-Kapitalismus oder schlucken wir die rote Pille und erkennen plötzlich, wie kollektiv verfasster Programmcode, gemeinsam erarbeitete Standards, die Arbeitskraft von Menschen und ihre Daten ausgebeutet werden, um Monopol-Plattformen aufzubauen und damit unseren Handlungsraum zu kontrollieren?
Was aber tun, wenn die rote Pille ihre Wirkung entfaltet? Wie wehren wir uns gegen GAFA? Wie entkommen wir den eingezäunten Gärten?
Glücklicherweise glauben heutzutage nicht einmal mehr Software-Entwickler, dass Code die Lösung für alle Probleme ist. In Code gegossene digitale Unabhängigkeitserklärungen wie das ActivityPub-Protokoll, das dezentrale, soziale Netzwerke ermöglichen soll, sind unverzichtbar, aber die freien Netzwerke entstehen nicht von selbst. Sie können nur durch den gemeinsamen Aufbau kollektiver Strukturen verwirklicht werden. Digitale Souveränität erreicht man nur gemeinsam und auch nicht ohne Investitionen.
Alles gratis gibt’s nur in der Matrix
Denn die GAFA-Matrix ist und bleibt verführerisch. Der Plattform-Kapitalismus simuliert ein Kostenlos-Paradies, das jeder frei nutzen kann – ganz so als wären die Konzerne ein Teil des kostenlosen Open-Source-Universums. Die Kostenlos-Simulation ist die Grundlage für das exponentielle Wachstum einer Plattform, das unverzichtbar ist, um neue Nutzer anzulocken und damit noch schneller zu wachsen. Nur durch explosives Wachstum ist die angestrebte Monopolstellung zu erreichen und zu verteidigen. Denn es gibt natürlich immer auch Konkurrenz. Es ist so viel Venture Capital auf dem Markt, dass jederzeit neue Startups entstehen, die GAFA die Marktbeherrschung streitig machen. Doch GAFA hat einen großen Vorsprung. Wenn GAFA die neuen Netzwerke nicht ausmanövrieren kann, schluckt das Ungeheuer sie, wie das Beispiel WhatsApp zeigt, das von Facebook kurzerhand aufgekauft wurde. GAFA sitzt auf so viel Kapital, dass er jeden kommerziellen Konkurrenten aufkaufen kann.9 Die Rettung kann also nicht von einem Unternehmen kommen, das jederzeit gekauft werden kann.
Die einzige Möglichkeit, GAFA zu entkommen, ist der Aufbau eines unverkäuflichen Netzwerks. Man könnte das Mastodon-Netzwerk als den Versuch verstehen, durch Dezentralisierung einer Einverleibung durch GAFA zu entgehen. Auf Dauer wird es aber nicht gelingen, GAFA aus dem Netzwerk fern zu halten, wenn es seine Aufmerksamkeit erregt. Google hat mit GMail bewiesen, dass es möglich ist, ein vollkommen dezentrales System wie die E-Mail fast vollständig zu monopolisieren. Es reicht also nicht aus, auf freie Software und freie Protokolle zu setzen. Wer sich von GAFA unabhängig machen will, muss parallel zu den GAFA-Strukturen eine dezentrale, skalierbare und unverkäufliche Infrastruktur aufbauen.
Genossenschaften wie die Hostsharing eG können hierbei eine Rolle spielen. Sie können unbeschränkt wirtschaftlich tätig werden. Sie sind damit, anders als zum Beispiel Vereine, den GAFA-Konzernen wenigstens in ihrem formalen Handlungsspielraum ebenbürtig. Sie sind demokratisch aufgebaut und in Deutschland gesetzlich verpflichtet, ihre Mitglieder wirtschaftlich zu fördern. Damit ist gewährleistet, dass eine Genossenschaft mit aktiver Mitgliedschaft im Interesse ihrer Mitglieder handelt. Genossenschaften können die Kosten der Infrastruktur verursachergerecht auf ihre Mitglieder umlegen und kostendeckende Preise kalkulieren. Hostsharing tut dies seit bald zwei Jahrzehnten.
Warum schafft das eine Genossenschaft?
Aufgrund der demokratischen Verfassung von Genossenschaften stärkt jedes neue Mitglied die gesamte Gemeinschaft. Skalierungseffekte, die durch ein dynamisches Wachstum entstehen, können in einer Genossenschaft zum Vorteil der Mitglieder genutzt werden. In einem kommerziellen Unternehmen nützt das Wachstum vor allem dem Eigentümer des Unternehmens. In einer Genossenschaft kommt Wachstum unmittelbar allen Mitgliedern zugute.
Die Nutzung von digitaler Infrastruktur ist eine Leistung, die in der Regel sehr lange in Anspruch genommen wird. Daher ist es ratsam, solche Leistungen bei einem Unternehmen zu kaufen, das nicht einfach von einem anderen Unternehmen übernommen werden kann. Denn sobald der Eigentümer wechselt, kann sich auch die Geschäftspolitik verändern und dann folgt oft das böse Erwachen. Wenn es um den Betrieb digitaler Infrastruktur geht, haben Genossenschaften viele Vorteile. Es überrascht deshalb, dass Hostsharing der einzige genossenschaftliche Anbieter von Hosting-Dienstleistungen in Deutschland ist. Es müsste eigentlich viel mehr IT-Genossenschaften geben. Das ist aber bis auf die Denic eG nicht der Fall.
Die Denic eG, die 1996 von 37 deutschen Internet Service Providern gegründet wurde, verwaltet alle deutschen Domains.10
Und das sind heute über 16 Millionen.
Seit der Übernahme der Top-Level-Domain .de
durch die Genossenschaft braucht kein Betreiber die Sorge haben, dass die Verwaltung der nationalen Top-Level-Domain zum Beispiel an einen US-Konzern verkauft wird.
Und da die Denic eG nie mit einer Gewinnerzielungsabsicht arbeitete, waren die deutschen Domains auch immer für alle erschwinglich.
Bei der Hostsharing eG kostet eine de-Domain deshalb auch nur 6 EUR im Jahr.
Immerhin hat Umdenken begonnen. Nach einer Phase der Stagnation wächst die Mitgliedschaft der Hostsharing eG seit einigen Jahren wieder. Erste genossenschaftliche Neugründungen im IT-Bereich, zum Beispiel der geplanten WTF eG oder der WPIA eG in Österreich, zeigen, dass genossenschaftliche Lösungen beliebter werden und sich die Erkenntnis durchsetzt, dass freie Software allein keine digitale Unabhängigkeit gewährleisten kann. Vor einiger Zeit gab es sogar Bestrebungen eine Genossenschaft zu gründen, um Twitter zu kaufen.11
Kritische digitale Infrastruktur, und das beginnt bei den Leitungen und reicht über die Verwaltung der Top-Level-Domains und der Server-Infrastruktur bis hin zu den Sozialen Netzwerken, darf nicht – oder wenigstens nicht allein – in privater Hand sein. In Deutschland bietet sich für gesamtgesellschaftlich wichtige Bereiche neben staatlichen und kommunalen Betrieben die Rechtsform einer öffentlich-rechlichen Institution für solche Zwecke an. Stiftungen sind eine weitere Lösung, Träger zu schaffen, die nicht handelbar sind und einem gemeinnützigen Stiftungszweck verpflichtet werden können. Und schließlich können Genossenschaften und Vereine wichtige Rollen als Betreiber von Infrastruktur spielen.
Die Instrumente für den Kampf gegen GAFA besitzen wir. In unserem Nachbarland Frankreich will der Staat diese Instrumente auch einsetzen. So hat die Regierung beschlossen, für verwaltungsinterne Zwecke und dann irgendwann auch für die Kommunikation mit dem Bürger landesweit die quelloffene Matrix-Technologie für Messengerzwecke zu nutzen.12 Auf einer Podiumsdiskussion sagte der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber dem Autor, dass es auch in der deutschen Politik auf Bundes- und Landesebene ähnliche Überlegungen gäbe.
Sich auf die Politik zu verlassen, wäre aber sträflich. Die deutsche Politik fährt schon beim Thema freie Software bestenfalls einen Schlingerkurs, wie die bayrische Landeshauptstadt München zuletzt bewies, die freier Software wieder den Rücken kehrt und sich erneut an den Microsoft-Konzern binden möchte.13 Das Thema, digitale Infrastruktur gemeinschaftlich zu betreiben, ist in den Ministerien auf Landes-, Bundes- und EU-Ebene offensichtlich noch völlig unbekannt. Wenn es öffentliche Förderung gibt, so richtet sie sich fast ausschließlich an private Unternehmen aus der Startup-Szene. Wir müssen unsere digitale Befreiung daher selbst in die Hand nehmen. Und das heißt, wir müssen auch über Geld und Organisationsformen sprechen.
Digitale Unabhängigkeit muss erkämpft werden.
»Das Internet ist womöglich der größte historische Triumph des Gefängnisses«14, schreibt der Politologe Adrian Lobe in seinem Buch ›Speichern und Strafen. Die Gesellschaft im Datengefängnis‹.
Wer aus diesem Gefängnis ausbrechen, wer nicht mehr Ware sein will, muss bereit sein, für die in Anspruch genommenen digitalen Leistungen zu zahlen oder zu arbeiten. Nur wenn wir das Internet und seine Dienste selbst verwalten und selbst verantworten, können wir dem Datengefängnis entkommen. Das ist eine unangenehme Wahrheit. Die blaue Pille hätte uns wieder ein sorgenfreies Leben als Melkkuh der Matrix verschafft, aber wir haben die rote gewählt.
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https://de.statista.com/statistik/daten/studie/181588/umfrage/marktanteil-der-meistgenutzten-webserver/ ↩︎
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https://w3techs.com/technologies/overview/operating_system/all ↩︎
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https://web.archive.org/web/20150806093859/http://www.w3cook.com/os/summary/ ↩︎
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https://de.statista.com/statistik/daten/studie/260534/umfrage/verteilung-von-supercomputern-nach-betriebssystem/ ↩︎
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https://de.statista.com/statistik/daten/studie/184335/umfrage/marktanteil-der-mobilen-betriebssysteme-weltweit-seit-2009/ ↩︎
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https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/deutscher-verbrauchertag-sharing-economy-fluch-oder-segen/11985980.html ↩︎
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https://de.wikipedia.org/wiki/Uber_%28Unternehmen%29#Kritik_an_der_Unternehmenskultur ↩︎
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Der Entwickler Feross, der die Idee hatte und umsetzte, fasst seine Sicht der Dinge in diesem Blogartikel zusammen: https://feross.org/funding-experiment-recap/, vgl. auch https://www.heise.de/developer/meldung/npm-will-Werbe-Banner-im-Paketmanager-untersagen-4510875.html ↩︎
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Dieser Artikel führt die Überlegenheit US-amerikanischer Konzerne vor Augen. So wurden allein im Silicon Valley in den letzten zehn Jahren fast eine Billionen US-Dollar in Startups investiert. https://medium.com/@foundercollective/startup-success-outside-silicon-valley-data-from-over-200-exits-in-17-cities-1872bf8e7619 ↩︎
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Zur Geschichte der Denic, vgl. https://www.denic.de/ueber-denic/denic-geschichte/ und https://de.wikipedia.org/wiki/DENIC. In den USA wurde die ICANN als Non-Profit-Organization konzipiert, die in einem teilweise privatrechtlichen, teilweise öffentlich-rechtlichen Rahmen agiert. Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Internet_Corporation_for_Assigned_Names_and_Numbers ↩︎
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Vgl. https://actionnetwork.org/petitions/wearetwitter; https://netzpolitik.org/2016/wearetwitter-initiative-fuer-ein-twitter-in-nutzerinnenhand-gestartet/ und https://meedia.de/2016/10/20/wearetwitter-nutzer-wollen-genossenschaft-gruenden-und-kurznachrichtendienst-uebernehmen/ ↩︎
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https://matrix.org/blog/2018/04/26/matrix-and-riot-confirmed-as-the-basis-for-frances-secure-instant-messenger-app ↩︎
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Einen Blick zurück in die Zeit, als Linux dem Weltkonzern Microsoft in München die Stirn bot, gibt dieses Interview mit dem damaligen SPD-Oberbürgermeister Christian Ude: https://www.linux-magazin.de/ausgaben/2019/10/interview-2/ ↩︎
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Zitiert nach »Smarte Gadgets bestimmen unser Leben. Wir sind Gefangene der Daten, die wir selber schaffen – und merken es nicht einmal« https://www.nzz.ch/feuilleton/daten-sind-unser-gefaengnis-mit-facebook-amazon-google-co-ld.1507516 ↩︎